Was passiert, wenn du ein Reh anfährst – und warum du NICHT weiterfahren solltest

Ein Leitfaden aus der Praxis: Was wirklich zählt, wenn Wild auf die Straße springt

Der Anruf um 2 Uhr nachts

Das Blaulicht blinkt in der Dunkelheit. Als ich an der Unfallstelle ankomme, stehen bereits der Rettungswagen und der Notarzt dort. Ein Motorradfahrer hatte ein Reh erwischt – und es sieht nicht gut aus. Für den Fahrer.

Das Reh? Tot. Sofort. Der Motorradfahrer? Schwer verletzt, aber er wird überleben.

Diese Szene zeigt, was viele Autofahrer nicht wissen: Bei Wildunfällen geht es nicht nur um das Tier. Es geht auch um deine Sicherheit.

Ich bin Dominik Kerkow, Jäger & Wildtierschützer. In diesem Artikel erkläre ich dir, was wirklich passiert, wenn Wild vor dein Auto springt – ohne Fachchinesisch, ohne Schuldzuweisungen. Nur ehrliche Antworten auf die Fragen, die du dir in diesem Moment stellst.

Warum springen Rehe überhaupt auf die Straße?

Rehe haben einen 2-Stunden-Rhythmus für ihre Äsung. Das bedeutet: Sie wechseln regelmäßig zwischen Futter- und Ruheplätzen hin und her. Und genau auf diesen Wildwechseln kreuzen sie oft Straßen.

Besonders kritisch sind:

  • Zeitumstellungen (Frühjahr/Herbst) – das verwirrt die Tiere enorm
  • Brunftzeit (November bis Februar) – Rehe sind dann unaufmerksamer
  • Dämmerung – klassisch zwischen 5-7 Uhr morgens und 19-22 Uhr abends

Aber hier die unbequeme Wahrheit: Wildunfälle passieren auch tagsüber.

Warum? Weil wir Menschen immer mehr Zeit im Wald verbringen (Joggen, Wandern, Mountainbiken). Die Tiere haben sich mittlerweile an unseren Rhythmus angepasst – aber eben nur teilweise. Sie sind unberechenbar geworden.

Die häufigsten Wildunfälle in meiner Region:

  • 70% Rehwild
  • 20% Raubwild (Fuchs, Dachs, Marder)
  • 10% Schwarzwild (selten, aber dann meist mit hohem Schaden)

Was du SOFORT tun musst

Dein Herz rast. Du hast das dumpfe Geräusch gehört. Vielleicht steht ein Reh am Straßenrand und läuft dann weg. Oder es liegt reglos da.

Jetzt ist keine Zeit für Panik – sondern für diese 5 Schritte:

1. ANHALTEN + ABSICHERN

  • Warnblinker an
  • Warnweste anziehen
  • Warndreieck aufstellen (100m auf Landstraße, 150m auf Autobahn)

Warum das so wichtig ist: Das größte Risiko nach einem Wildunfall bist nicht du oder das Tier – sondern der nächste Autofahrer, der nicht rechtzeitig bremst. Ich habe schon Unfallstellen gesehen, wo Autofahrer ohne Absicherung ausgestiegen sind und beinahe selbst angefahren wurden.

2. POLIZEI RUFEN: 110

Gib durch:

  • Deinen Standort (Straße, km-Stein, Ortsangabe)
  • Was passiert ist („Wildunfall mit Reh“)
  • Ob das Tier noch lebt und wo es liegt

Warum nicht direkt den Jäger rufen? Die Polizei kennt die Reviergrenzen und weiß, wer zuständig ist. Das geht am schnellsten. In den meisten Fällen muss die Polizei selbst nicht kommen – sie verständigt uns Jäger direkt.

3. NICHT DEM TIER FOLGEN

Auch wenn es verletzt wegläuft: Lass es laufen.

Warum? Ein verletztes Reh hat einen Fluchtreflex. Wenn du ihm hinterherläufst, rennt es weiter – und wird für meinen Hund später schwerer zu finden. Oder es tritt nach dir. Ein Huf eines Rehs kann dich ernsthaft verletzen.

4. NICHT ANFASSEN / MITNEHMEN

Das tote Reh einfach in den Kofferraum legen? Das ist Wilderei – und kann mit bis zu 5.000 € Strafe geahndet werden.

Wenn das Tier auf der Straße liegt und eine Gefahr darstellt, kannst du es vorsichtig (!) an den Straßenrand ziehen – aber nur, wenn du dich dabei nicht selbst gefährdest. Ansonsten: Liegen lassen.

Was dann passiert: Mein Einsatz als Jäger

Wenn die Polizei mich anruft, mache ich mich sofort auf den Weg – egal, ob es 14 Uhr oder 2 Uhr nachts ist. Im Durchschnitt bin ich innerhalb von 15-20 Minuten vor Ort.

Das bringe ich mit:

  • Meine Steirische Rauhaarbracke (brauchbarer Jagdhund)
  • Wärmebildkamera (um das Tier zu finden, falls es geflüchtet ist)
  • Jagd-Ausrüstung (wenn das Tier erlöst werden muss)
  • Wildunfall-Bescheinigung (für deine Versicherung)

Wenn das Tier geflüchtet ist: In etwa 70% der Fälle muss mein Hund zur Nachsuche. Das dauert im Schnitt zwischen 30 Minuten und 2 Stunden, je nachdem, wie weit das Reh gelaufen ist und wie schwer die Verletzung ist.

Mein Hund findet:

  • Die Fährte (Blutspur, Schweiß)
  • Das verletzte Tier
  • Manchmal: Ein lebendes Tier, das nur gestreift wurde und eigentlich unverletzt ist

Wenn ich ankomme, sehe ich meistens: Erleichterung. Die meisten Autofahrer sind geschockt – aber wenn ich mit meiner offenen Art sage, wie es weitergeht, beruhigen sie sich schnell.

Was NICHT passiert

Lass mich eines klarstellen:

❌ Du bekommst KEINE Strafe

Ein Wildunfall ist kein Vergehen. Du hast nichts falsch gemacht. Wild ist unberechenbar.

❌ Du musst (meist) NICHT zahlen

Wenn du eine Teilkasko-Versicherung hast, zahlt sie den Schaden (abzüglich deiner Selbstbeteiligung). Ich stelle dir vor Ort eine Wildunfall-Bescheinigung aus, die du bei deiner Versicherung einreichst.

Was kostet dich der Einsatz? In meiner Region erhebe ich typischerweise 35 € Bearbeitungsgebühr. Das deckt niemals den tatsächlichen Aufwand (vor allem nachts), aber das ist üblich bei den meisten Jägern.

✅ ABER: Weiterfahren ist eine Straftat

Wenn du einfach weiterfährst und das Tier leidet, ist das Tierquälerei und wird über die Untere Jagdbehörde verfolgt. Das kann richtig teuer werden – und rechtlich hässlich.

Der schlimmste Fall, den ich erlebt habe: Ein Autofahrer meldete sich erst am nächsten Morgen. Warum? Vermutlich, um den Alkoholgeruch loszuwerden oder weil das Gewissen plagte. Das Reh hatte die ganze Nacht gelitten. So etwas darf nicht passieren.

Wie du Wildunfälle vermeidest

Ich kann dir keinen 100%-Schutz geben. Aber ich kann dir sagen, was wirklich hilft:

1. TEMPO RAUS

Besonders:

  • An Waldrändern
  • Bei der Zeitumstellung (Oktober/März)
  • Zwischen November und Februar (Brunft)
  • In der Dämmerung

Faustregel: Lieber 70 statt 100. Die 5 Minuten, die du gewinnst, sind es nicht wert.

2. AUFMERKSAM BLEIBEN

Schau nicht nur auf die Straße – schau auch an den Straßenrand. Rehe haben oft Begleitung. Wenn eins über die Straße springt, kommen meistens noch weitere nach.

3. NICHT AUSWEICHEN – NUR BREMSEN

Hier kommt der wichtigste Mythos, den ich aufklären möchte:

❌ Bremsen + Ausweichen = oft schlimmer
✅ Bremsen + Spur halten = sicherer

Warum? Wenn du ausweichst, riskierst du:

  • Gegenverkehr
  • Bäume am Straßenrand
  • Überschlag

Ein Reh wiegt 15-25 kg. Ein Baum oder ein entgegenkommendes Auto ist tödlicher. Bleib in deiner Spur, bremse so stark du kannst – und wenn es kracht, dann kracht es eben.

4. WILDWARNREFLEKTOREN? Vergiss sie.

Ehrliche Jäger-Meinung: Die blauen und orangenen Reflektoren an der Straße oder den Bäumen lenken eher ab. Du konzentrierst dich auf die Reflektoren statt auf die Augen der Tiere. Und die Rehe? Die interessiert das wenig.

Was Autofahrer oft unterschätzen

1. Die Geschwindigkeit eines Rehs
Ein Reh springt mit bis zu 70 km/h über die Straße. Selbst bei 80 km/h Fahrgeschwindigkeit hast du oft keine Reaktionszeit.

2. Wie gefährlich ein verletztes Reh ist
Ein verletztes Reh in die Arme nehmen? Bitte nicht. Es kann nach dir treten, dich verletzen – und es flüchtet dann noch weiter.

3. Wie weit ein verletztes Tier noch laufen kann
Ich habe schon Rehe gefunden, die nach einem Unfall noch mind. 1-2 Kilometer weit gelaufen sind. Mit gebrochenem Bein. Deswegen: Lass den Hund die Arbeit machen.

Das möchte ich dir sagen

Falls du einen Wildunfall hattest oder haben wirst:

Das kann jedem passieren.

Frag dich selbst, ob du angepasst gefahren bist. Und wenn die Antwort „ja“ ist, dann hast du alles richtig gemacht. Das Wichtigste ist, dass du die Polizei rufst – damit wir Jäger helfen können.

Wir sind nicht da, um dich zu verurteilen. Wir sind da, um das Tier zu finden, zu versorgen oder zu bergen. Und um dir zu helfen, mit deiner Versicherung klarzukommen.

Häufigste Fehler, die ich sehe

  1. Falscher Standort durchgegeben (aus Angst vor Konsequenzen – die es nicht gibt!)
  2. Einfach weiterfahren (aus Unwissenheit oder Panik)
  3. Dem Tier hinterherlaufen (macht alles nur schlimmer)
  4. Keine Absicherung der Unfallstelle (Gefahr für nachfolgende Autofahrer)

Du willst mehr wissen?

Ich komme gerne zu Fahrschulen, Betrieben, Vereinen und erzähle mehr über Wildunfälle und Prävention – mit meinem Hund, damit ihr seht, wie eine Nachsuche funktioniert.

Interesse? Schreib mir eine E-Mail oder ruf mich an.

Was du jetzt tun solltest

✅ Teile diesen Artikel mit Freunden, die pendeln – vor allem in ländlichen Gebieten
✅ Speichere dir die 110 im Handy (auch wenn du sie hoffentlich nie brauchst)
✅ Fahr achtsam – besonders in den nächsten Wochen (Oktober/November ist Hochsaison für Wildunfälle)

Zusammenfassung: Die 5 wichtigsten Punkte

Was tun?Warum?
Anhalten + AbsichernWarnblinker, Warndreieck, Warnweste – schützt dich und andere
Polizei rufen (110)Sie verständigen den zuständigen Jäger – am schnellsten
Nicht dem Tier folgenFluchtreflex macht alles schlimmer, Hund findet es besser
Nicht anfassen/mitnehmenWilderei (bis 5.000 € Strafe), Verletzungsgefahr

Noch Fragen?

Schreib mir eine Nachricht. Ich antworte ehrlich – auch wenn die Antwort manchmal unbequem ist.

Und denk dran: Wenn es passiert, bist du nicht allein. Wir Jäger sind rund um die Uhr erreichbar – auch nachts um 2 Uhr.

Sichere Fahrt!

Dominik Kerkow
Jäger & Wildtierschützer


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